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02.04.2015

Winter-Trilogie an der Villnösser Rotwand

von Manfred Stuffer

Den beiden Jungstars der grödner Kletterszene Alex Walpoth und Titus Prinoth gelang die Winterbegehung der stark überhängenden Routen an der Villnösser Rotwand gleich im Dreierpack. Die Details zu diesem Projekt und seiner Realisierung erfährt ihr direkt aus dem packenden Bericht von Alex Walpoth.

Die Villnösser Wand bedarf einer Vorstellung, weil sie über das Grödnertal und unserem Nachbarchstal Villnöss hinaus ziemlich unbekannt ist. Zur Geißlergruppe gehörend, fällt sie von Seceda aus gesehen bloß als westlicher Ausläufer der Kleinen Fermeda auf, nichts weiter als eine steile und teilweise felsige Wiese.

Nur von Norden zeigt sie ihr wahres Gesicht, geprägt von beeindruckender Steilheit: 200 Meter hoch, nahezu vollständig überhängend, ragt sie wie ein überdimensionaler Schiffsbug östlich der bei Wanderern beliebten Panascharte hinauf.
Im zentralen Teil hängt sie am meisten über: Hier führt eine technische Route aus dem Jahre 1985 hinauf, mit 180 handgebohrten Expansionshaken in äußerst anstrengender Arbeit eröffnet. Die fast rein technische „Rudi Runggaldier“ war für uns Freikletterer etwas Neues, Unbekanntes, mit deren Einschätzung wir uns schwer taten. Gerade deswegen inspirierte sie mich, um auch diese Facette unseres Spieles mit den vielen Möglichkeiten kennen zu lernen. Der neugierige Titus und ich sind uns in dieser Hinsicht sehr ähnlich: Der Altersunterschied von 4 Jahren ist dank vieler gemeinsamer Abenteuer in den Hintergrund getreten, in unseren alpinistischen Vorstellungen stimmen wir überein. Schon vor einigen Jahren hatten wir beschlossen, die Route gleich als Winterbegehung zu klettern und in diesem Winter wollten wir die Idee umsetzen: Dafür bestimmten wir bereits einige Tage zuvor den 26. Dezember als „Termin“.

Je näher dieser Tag rückte, desto schlechter wurden die Bedingungen: Die Temperaturen sanken bis auf -13°C, dazu wehte ein starker Nordwind. Doch beide behielten wir die Zweifel für uns, sodass wir uns vor der Bergstation Seceda wiederfanden, dem beißend kalten Wind ausgesetzt. Am Beginn der Panascharte nahm dessen Intensität zu, als wir uns dann auf einem schmalen Band unter die Wand begaben, wurde die Luft endlich still, dadurch fühlte sie sich schon viel weniger kalt an. Die Wand zog über unsere Köpfe hinaus.
In der ersten Länge musste ich erst noch die Kletterei mittels Trittleiter erlernen.

Von Haken zu Haken wurde ich geschickter, erst als mir Titus nachfolgte, erkannte ich meinen Fehler: Die beiden Seile waren versetzt eingehängt, Titus pendelte hin und her zwischen den Haken und nur mit äußerster Mühe schaffte er es meinen Stand zu erreichen. Es erwartete uns nun die spannendste Seillänge, jene mit der wunderschönen Eisformation. Dank einer Erkundung wussten wir von dessen Existenz und hatten die Eiskletterausrüstung mitgebracht.

Mit dieser stieg ich zunächst die Kerze hoch, gelangte unter ein Dach und klinkte den einzigen Haken ein, der sich nicht unter dem Eis verborg. Darüber war der Felsen von einer fragilen Eisglasur überzogen. Mit den Pickeln zog ich mich über das Dach hinauf, es musste schnell gehen, bevor die Arme ermüden würden.

Leider hatten wir Pickel und Steigeisen aus Gewichtsgründen nicht doppelt mit und Titus konnte beim Nachsteigen nur die Schönheit des Eises bewundern, ohne Hand anlegen zu können. Die nächsten Längen kletterten wir nach Möglichkeit frei, auf herrlichem Felsen. Wir wechselten die Führung. Die Wand gewann noch einmal an Steilheit und ein eisiger Wind frischte auf.

Titus arbeitete sich die Hakenleiter hoch, eine monotone und anstrengende Arbeit. Zuletzt überwand er zwei Seillängen in einem Zug. Als der Ruf „Stand“ erklang, versuchte ich die Kälte abzuschütteln, die mich inzwischen ergriffen hatte. Dies gelang erst, als ich ziemlich erschöpft die letzten Meter zum Gipfel zurücklegte, auf dem Titus dem Wind schutzlos ausgeliefert war.

Die Sonne war bereits am Horizont untergegangen. Eine raue, bedrohliche Atmosphäre umgab uns, wir fühlten die wilde Kraft der Natur, für Glücksgefühle war es einfach zu kalt.

Die kamen erst in der Sofie-Hütte auf, wo wir von Markus und seiner Familie mit ehrlichster Freundlichkeit aufgenommen wurden, obwohl sie eigentlich schon geschlossen hatten.

Die "Rudi Runggaldier" überwindet zwar den steilsten Wandabschnitt, doch sind die anderen zwei Routen durch die Villnösser Rotwand wesentlich schwieriger, weil sie äußerst schwierige Freikletterei erfordern.

Wir sprachen bereits während dieser ersten Winterbegehung darüber, dass wir „Franz Runggaldier“ und „L Cator“ ebenfalls im Winter begehen könnten. Im Sommer hatten wir beide geklettert, und wegen der Schwierigkeit und Schönheit waren sie uns gut in Erinnerung geblieben.

Die Herausforderung, alle 3 Routen in der kalten Jahreszeit zu klettern hatten Hubert Moroder und Adam Holzknecht schon gemeistert, allerdings in verschiedenen Wintern. Die logische Herausforderung bestand für uns nun darin, alle 3 Routen in diesem Winter zu klettern. Wir benannten das Projekt kurzerhand „Trilogie“. Damit wurde es gleich viel konkreter und bald gab es nur noch dieses eine alpinistische Ziel.

29. Jänner, die "Franz Runggaldier" steht auf dem Plan. Die Temperaturen sind wieder tief, doch dank unserer unglaublich warmen Angora-Unterwäsche lassen wir uns davon nicht entmutigen.

Diesmal gilt es die Kletterschuhe anzuziehen, darüber noch abgeschnittene Socken um die Knöchel zu wärmen. In der ersten Seillänge verliert Titus den Kampf gegen die Kälte, seine tauben Finger zwingen ihn die Wand und den Traum einer freien Begehung loszulassen. Gegensätze folgen aufeinander: Die Finger werden warm und wir klettern zügig bis unter die schwierigste Länge. Auf einer großen Schuppe bewege ich mich hinüber zu einem überhängenden Riss, an diesem Punkt muss ich an Adam denken, der sich als erster daran festgehalten hat. Was waren wohl seine Gedanken?

Den Riss klettere ich entschlossen hinauf, die Finger bleiben warm und so erreiche ich euphorisch den Stand: Die 8er-Länge ist mir bei ebenso vielen Minusgraden frei geglückt. Titus klettert noch eine letzte technisch schwierige Seillänge, danach bekommen wir die Strenge des Winters zu spüren und erfahren, warum Winterbergsteigen so berüchtigt ist: Die weniger steilen und im Sommer leichten Längen verwandeln sich aufgrund des Schnees in heikle und anspruchsvolle Angelegenheiten.

Ich klettere bedächtig weiter, säubere den Felsen vom Schnee, helfe mir mit dem Pickel über vereiste Passagen hinweg. Als ich aus der Wand aussteige, ist der graue Wollpullover vollkommen vereist. Vereinzelte Schneeflocken wirbeln umher. Titus klettert und wühlt sich durch die letzten Meter hinauf zu mir, sich über die kalten Finger beschwerend aber doch lächelnd und glücklich.

Was für eine wunderbare Route wir doch geklettert sind, trotz der Kälte hat die abwechslungsreiche Kletterei uns viel Freude bereitet.


Februar 2015, um die Trilogie zu vervollständigen fehlt noch die Route „L Cator“ aus dem Jahre 1989. Vor dieser Route haben wir größten Respekt: sie das erste Mal im Sommer zu klettern kostete uns sehr viel Überwindung. Die erwarteten hohen Schwierigkeiten bestätigten sich, während wir von der Ästhetik der Linie beeindruckt blieben.

Am 26. Februar überqueren wir zum dritten Mal die Skipisten hinüber zur Panascharte. Die Wetterprognosen stellen sich als zu optimistisch heraus, ein zäher Hochnebel umhüllt die „Fermedes“. Eine ungewöhnliche Atmosphäre umgibt uns.

Später erfahren wir, dass es einer jener merkwürdigen Tage ist, an denen die Eltern zu Hause in Sorge sind, ohne das sie wüssten warum. Der sonst einfache Zustieg ist dieses Mal nicht wiederzuerkennen. Wegen des meterhohen eingeblasenen Schnees kommen wir nur langsam und unter größter Anstrengung voran, zusätzlich sichern wir uns wegen der Lawinengefahr. Es ist fast 11 Uhr als wir den schneefreien Einstieg erreichen.

Die Vorbereitungen sind schnell getroffen, wieder liegt es an Titus den ersten Kontakt mit dem kalten Felsen aufzunehmen. Wir folgen einem überhängenden Riss, drei anstrengende Längen bringen uns auf einen schmalen Pfeilerkopf. Über unseren Köpfen zieht eine steile Wand nach außen, kompakt und besten Felsens. Wir gönnen uns eine längere Pause, wo wir uns über den wunderbaren Geschmack unseres Malzkaffees mit Honig freuen. Laut Titus soll dieses Getränk warm halten, tatsächlich fühlen wir uns warm und motiviert.

Die Schlüssellänge ist relativ gut abgesichert, doch mit schweren Einzelzügen versehen. Noch nie wurde diese Länge frei durchklettert, ich versuche mir alles einzuprägen für ein nächstes Mal, im Sommer allerdings.

Titus erreicht mich im Stand und will sich gleich an der letzten Länge versuchen, doch wird er vom vielen Schnee überrascht, den wir vom Standplatz aus nicht erkennen konnten. Nach einiger Zeit hartnäckigen Probierens übergibt er die Seillänge.
Ich erreiche Titus‘ Umkehrpunkt und erkenne sogleich, dass es nur mit viel Geduld und Zeit weitergehen wird. Sämtliche Griffe sind von Schnee bedeckt und frische Schneeflocken legen sich sanft auf die Wand nieder.

Äußerst diffizile Bewegungen bringen mich einige Meter nach oben, dann schlage ich einen kurzen Messerhaken aus der Kletterstellung. Ich klettere noch ein paar Meter, dann scheint es kein Vorwärtskommen mehr zu geben. Der schneebedeckte Tritt, auf dem ich stehe, wird immer rutschiger, mit den Händen klammere ich mich an nassen Griffen fest, irgendwann verliere ich unerwartet den Halt und stürze einige Meter in den Haken.

Froh darüber, dass der Haken gehalten hat, ändere ich nun die Strategie auf „Hinaufkommen mit allen Mitteln“. Trotz Pickel, Trittleiter und eines weiteren Hakens wird es eine der schwierigsten und komplexesten Seillängen, die ich je geklettert bin. Über 2 Stunden benötige ich dafür, in denen Titus gehörig auskühlt.

Als auch er den Stand erreicht, wärmen wir seine Füße. Es dämmert bereits. Es umfängt uns eine besondere Ruhe, es fehlen nur noch 15 Meter bis zum Ausstieg. Irgendwann sind Titus Füße wieder warm. Besonnen klettere ich im Schein der Stirnlampe eine Verschneidung hinauf. Eine Wechte versperrt den Ausstieg. Sorgfältig grabe ich einen Durchschlupf, der es mir ermöglicht aus der Wand auszusteigen. Mein Jubelschrei hallt unerwidert in die Dunkelheit hinaus.

Titus folgt bald nach. Diese letzte Route hat uns noch einmal alles abverlangt. Wir genießen wunderschöne Augenblicke, wo alle Anspannung abfällt und sich alle Erlebnisse der Trilogie zu einem großen Glücksgefühl verdichten.
Markus überrascht uns mit einem herrlichen Abendessen.

Die Gedanken wandern nicht mehr zur nächsten Route, sondern verbleiben beim Erlebtem: Mit keinem anderen Projekt haben wir uns bisher dermaßen identifiziert. All die erwartungsvollen Gespräche die wir rund um die Trilogie geführt haben werden uns ebenso in lebender Erinnerung bleiben wie das lange Warten in den Ständen, mit der unerbittlichen Kälte kämpfend.

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