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01.10.2013

Mugoni - Die goldgelb leuchtende Verschneidung

von Ivo Rabanser

»Der klassische Alpinist wird nicht nur die Schwierigkeiten erhöhen,
wie in den vergangenen Jahrzehnte, er wird Gefahren vor Ort auch weiterhin ausweichen und die Exposition verteidigen.
Was nicht abgeschafft werden darf, wenn das große Bergsteigen weiterleben soll,  ist dieses Prinzip Abgrund«


Reinhold Messner

Politisch verdächtigt. »Die Kunst ist sittlich, sofern sie weckt. Aber wie, wenn sie das Gegenteil tut? Wenn sie betäubt, einschläfert, der Aktivität und dem Fortschritt entgegenarbeitet? Auch das kann die Musik, auch auf die Wirkung der Opiate versteht sie sich aus dem Grunde. Eine teuflische Wirkung, meine Herren! Das Opiat ist vom Teufel, denn es schafft Dumpfsinn, Beharrung, Untätigkeit, knechtischen Stillstand…«


Das war stark. Wie so oft, bei der Lektüre aus Thomas Mann’s Werk, kam ich nicht drum hinweg mich in umfangreicheren Gedanken und Überlegungen zu vertiefen. Im Zauberberg, einem der großen Bildungsromane des zwanzigsten Jahrhundert, wird der junge Hans Castorp in der Hermetischen Welt eines Sanatoriums im Hochgebirge zu geistigen, moralischen und sinnlichen Abenteuer fähig gemacht, von denen er sich früher nie hätte träumen lassen.
Erlebt man beim Bergsteigen, beim unterwegs sein im natürlichen Gefahrenraum des Gebirges, im Ausgesetzt sein über dem Abgrund, hoch über der Waldgrenze und der sicherheitsgewöhnten Zivilisation, nicht eine ähnliche Steigerung, wie jene die Hans Castorp erfuhr?

Vorraussetzung dafür – so scheint mir – um diese Erfahrungen zu erleben, ist die Bereitschaft sich in der archaischen Welt des Hochgebirges einzulassen, ohne allzu sehr auf präventive Infrastrukturen bauen zu wollen. Denn lediglich in der Konfrontation mit der Gefahr, mit einer urtümlichen und auf Selbstverantwortung fundierten Welt, ist es möglich unsere atavischen Instinkte wiederzugewinnen, Zuversicht gegenüber der Ungewissheit aufzubauen und dadurch starke Erfahrungen zu erleben.

Medium Berg. Bei der Auseinandersetzung mit dem Berg, kann dieser als Medium fungieren, als Mittel um das menschliche Bewusstsein wachzurütteln und um all seine Wahrnehmungsfähigkeiten zu verfeinern. Doch wird das Aktionsfeld in der Wildnis bereits von Vornherein präpariert und Normgerecht für den Verbraucher vorbereitet, geriet diese Gegenüberstellung aus seinem natürlichen Gleichgewicht und die Akteure berauben sich des Privileges dieser tiefgründigen und nachhaltigen Erfahrungsmöglichkeit, die ja letztendlich die Hauptaktration einer solch nutzlosen Aktivität ausmacht.
Denn – wie bereits Thomas Mann bemerkte – wird die Exposition in einer verharmlosten und banalisierten Natur kaum Klarheit schaffen: »Auch die Natur kann klar sein, auch ein Bächlein kann klar sein, und was hilft uns das? Es ist nicht die wahre Klarheit, es ist eine träumerische, nichtssagende und zu nichts verpflichtenden Klarheit, eine Klarheit ohne Konsequenzen, gefährlich deshalb, weil sie dazu verführt, sich bei ihr zu beruhigen…«

 



Battista Vinatzer. Als ich das erste Mal die Vinatzer-Route am Mugoni in der Rosengartengruppe kletterte, war ich gerade eben volljährig. Ich kannte bereits diverse Touren des, von uns über alles geschätzten Grödner Altmeisters und hatte Jahre zuvor den berüchtigten Stevìa-Riss durchstiegen. Sehr wohl wusste ich also auf was wir uns da einließen.

Battista Vinatzer war in seiner Jugend ein herausragender Kletterer gewesen. Wie kein anderer zu jener Zeit, gelang diesem hageren und wortkargen Einzelgänger seine Zweifel und Ängste wegzustecken und die Herausforderung beinhartes Neuland anzunehmen. Dabei erlebte er das Klettern mit entwaffnender Selbstverständlichkeit. Sein Instinkt ermöglichte ihm die Balance zu finden, zwischen einer vernünftigen Risikobereitschaft und dem Sinn für das gerade noch Machbare. Jenen Instinkt, den man sich nur durch jahreslange aussetzen in menschenfeindlicher Natur aneignen kann.

Vinatzer suchte nicht die Gefahr, empfand sie jedoch als natürlichem Bestandteil dieser Aktivität: »Ich kletterte so, dass ich gegebenenfalls wieder zurück steigen konnte. Dabei ließ ich mich von meinem Instinkt leiteten«.
In den dreißiger Jahren kannte kaum jemand diesen genialen Bergsteiger aus Gröden. Erst später, als die junge Generation auf den Vinatzers Routen aufmerksam wurden, wurde etwas verblüfft festgestellt dass diese Wege die Schwierigkeiten und Kühnheit anderer Spitzenrouten der Dolomiten bei weitem übertrafen. Heute gilt er als Neurer der Kletterkunst in der heroischen Epoche des »Sechsten Grades«, der durch Erstbegehungen an gefährlich brüchigen Felswänden eine neue Grenze des Kletterbaren zu definieren vermochte. Und nach wie vor sind seine Neutouren – wie die Furchetta-Nordwand, der Stevìa-Riss und die Marmolada-di-Rocca-Südwand – ernstzunehmende Prüfsteine für jeden ambitionierten Dolomitenkletterer.

In meinen Jugendjahren hatte mich mein Großvater des Öfteren bei seinen Besuchen des Freundes Battista Vinatzer in St. Ulrich mitgenommen. Dabei lauschte ich mit wachsendem Interesse den Erzählungen der beiden älteren Herren. Vom Krieg wurde geplaudert – und dabei zogen die zwei ernsthafte Mienen – oder von der herrlichen Zeit, als sie in den Dolomitenwänden Glück und Erfüllung fanden.
Die Mugonispitze ist eine massive, ja fast klotzige Felsformation im Südosten des Rosengartens. Dabei erhebt sich ihre gelb leuchtende Wand direkt über einen häufig begangenen Wanderweg. Von mehreren markanten Rissreihen durchzogen, führen Geschichtsträchtige Routen durch dieses dreihundert Meter hohe und beeindruckend steile Gemäuer.

Als 1904 die wunderhübsch gelegene Rotwandhütte eingeweiht wurde, hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass auch die thronende Mugoni-Wand später Mal durchstiegen werde.
In den dreißiger Jahren war die Mobilität im Dolomitenraum noch recht beeinträchtigt. Durch das nicht vorhandenseins eines motorisierten Vehikels waren die eigenen Füße das einzige Transportmittel und das Erreichen etwas fernen liegenden Felswände war ein nicht zu unterschätzendes Problem.

 

Vinatzer und seine Freunde konnten während ihrer Tagestouren lediglich Tal nahe Berge anpeilen, denn für aufwendige Unternehmungen verfügten sie kaum über die nötige Zeit und die finanziellen Mittel die Transportspesen zu übernehmen.

Die Geislerspitzen, der Sellastock oder der Langkofel waren gut zu erreichen, doch zum Rosengarten war der Weg von Gröden bereits lang und mühsam.


Im Sommer 1935 marschierten Battista Vinatzer und Vinzenz Peristi wiederholt zu König Laurins versteinerten Reich. Mit höchstem Vergnügen stiegen sie auf die Vajolettürmen, kletterten die geschätzte Steger-Route durch die Rosengartenspitze-Ostwand. Dazu holten sie sich die Premiere eines offensichtlichen gelben Risses, der direkt über dem Gartl die Nordwand des Rosengartens durchzieht. Durch Felsspalten kletterte der Grödner gerne und geschickt wie kein anderer damals. »In Rissen fühlte ich mich sicher und geborgen« – meinte er recht bescheiden – »denn immer wieder konnte ich mich darin verkeilen und ausruhen. Zudem war der Weg klar vorgezeichnet«.

Eine weitere einladende Möglichkeit ihre Kreativität auszleben hatten die beiden Kameraden währen diesem Kurzaufenthalt im Rosengarten entdeckt. Vom Cigoladepass erblickten sie eine auffallende, in der Morgensonne goldgelb leuchtende Verschneidung. »Wie nennt sich diese Wand dort«, fragte Battista seinem Freund, der als begabter Bildhauer den organisatorischen Teil ihrer Eskapaden übernahm und sich bessere Kenntnisse über Geographie sowie Gesichte dieser Berge eingeholt hatte. »Die müssen wir machen… unbedingt!«
Als ich über einen halben Jahrhundert später mit meinem Vetter unter dieser Verschneidung stand, hatte die Vinatzer-Route weitgehend ihren ursprünglichen Charakter beibehalten. Von den Wiederholern wurden im Laufe der Jahre relativ wenige Sicherungshaken hinzugeschlagen und damit hat sich die gehobene Anforderung der Kletterei kaum verändert.

Hanspeter Eisendle, Südtiroler Extremkletterer und leidenschaftlicher Bergführer bringt die Sache auf dem Punkt: »Ein Meister der Kletterkunst hat uns hier ein Spielfeld hinterlassen, das unseren modernen Reibungssohlen, den federleichten Zwillingsseilen und den mobilen Sicherungsgeräten zwar nicht mehr das letzte abverlangen kann, aber das Gefühl des exponiert seins so unvermittelt aufkommen lässt, dass man lieber leicht und leise steigt, als zerrend dynamisch von Griff zu Griff turnt«.
Wir kannten den Typus dieser Routen, wo bei wechselnder Gesteinsqualität sauberes Klettern zwingend nötig ist. Sowie die erlernte Fähigkeit natürliche Sicherungsmöglichkeiten zweckmäßig auszunützen.

 

Mit wachsender Begeisterung stiegen wir höher. Eine Seillänge nach der anderen. Stets konzentriert und in einem Zustand absoluter Wachsamkeit. Jeder Griff und Tritt musste auf seiner Festigkeit geprüft werden, denn ein Sturz in diesem Gelände hätte verheerende Folgen. Sicherheit ist in solchen Fällen weniger von Seil, Haken oder anderen modernen Utensilien gegeben, sondern vorrangig durch besonnenes und risikobewusstes Steigen.

Erfahrungs- und Endscheidungskompetenz sind hier eine wesentlich wichtigere Vorraussetzung als virtuose Bewältigung hoher Schwierigkeitsgrade. Vereinzelt fanden wir alte Haken vor, in der Zahl sicherlich mehr als der Vinatzer seinerseits verwendet hatte. Trotzdem bewahrte diese Route auch heute noch ihren ernsthaften Charakter.


Als wir dann aus der Verschneidung ausstiegen, meinte mein Vetter mit weltmännischer Geste, man sollte sich eigentlich Vinatzers Wege nur dann vornehmen, wenn man den Kletterschwierigkeiten souverän gewachsen ist!

Kunst des Überlebens. Für Battista Vinatzer und Vinzenz Peristi war das Klettern an abartigen Wänden der Kunst des Überlebens verpflichtet. Gezwungenermaßen mussten sie mit wenig Technologie auskommen, da ihnen keine Technologie zur Verfügung stand. Um im schwierigen Fels bestehen zu können, hatten sie schrittweise lernen müssen das Lot zwischen ihren physischen Grenzen und psychischen Belastbarkeit zu finden.

Bleibt zu wünschen, dass wir auch in Zukunft mit diesen Geschichts-Ressourcen sensibel umgehen zu wissen, damit ein Rest der geliebten Wildnis auch für die nächste Generation erhalten bleibt.



„Ivo Rabanser aus Gröden – dem Nachbartal meines Heimatdorfes stammend – wo seit hundert und mehr Jahren schon exzellente Kletterpioniere gelebt haben, hat wie ich einen „klassischen“ Zugang zu den Dolomiten. Er hat nicht nur viele meiner Routen wiederholt und die „Klassiker“ erlebt, er ist im Geiste mit all jenen gestiegen, die den Dolomiten-Wegen Leben und Geschichte geben. Sein hintergründiges historisches Wissen über die Dolomiten-Erschließung sowie den Anspruch, die Charaktere der vielen Erstbegeher aufzuschlüsseln, bewundere ich ebenso wie seine Kletterkunst. Keiner kann besser als er nachempfinden und erzählen, was die Dolomiten in der Welt des Kletterns bedeuten. Unsere „Kletterfavoriten“ bargen und bergen ein unvergleichliches Erlebnispotential – immer vorausgesetzt, man verwandelt sie nicht in Klettersteige. Am besten man folgt dabei Ivo Rabanser, der uns im Geist der Pioniere auf die besten Linien schickt. Immer „ruhigen Fußes“

Reinhold Messner

 

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