Detail

31.05.2012

Eine Handvoll Nägel

von Ivo Rabanser

Erstbesteigung des “Pilastro Massarotto” am Spiz di Lagunàz

Im Bild: Ivo Rabanser, Stefan Comploj und Heinz Grill

Während der Besteigung der „Quarta Pala“ in San Lucano erschien uns ganz plötzlich ein Riesenpfeiler mit kurioser Form, welcher vom Boden des Boràl di Lagunàz emporragte. Dieser riesige Felsen, welcher links den Spiz di Laugnàz abgrenzt und stützt, erscheint im unteren Teil sehr stämmig und breit, fast gealtert, jedoch im oberen Teil erscheint er zart und schlank und er scheint nach der fliehenden Jugend zu streben. Gleich fing ich an den Berg zu begutachten und zwischen den schwarzen Platten eine mögliche Route zu finden. „Eine tolle Route könnte ich hier in diesem imposanten Felsen, in dieser abgelegenen Ecke der Dolomiten, finden“ – dachte ich .


Ich habe mich dann mit Ettore De Biasio unterhalten, welcher in naher Zukunft ein Buch über das Tal und dessen imponierende Gipfel veröffentlichen wollte. Diese Gipfel sind weit höher und imponierender als andere bekanntere Spitzen in den Dolomiten. Zu einem späteren Zeitpunkt habe ich dann in Vicenza Lorenzo Massarotto kennengelernt und gleich fingen wir an über die Pale von San Lucano zu sprechen. Er beschrieb mir den mächtigen Felsen des Lagunàz wie eines der drei ungelösten Fällen des Tales. Ich fragte ihn wieso er es nie gewagt hatte den Berg zu besteigen, er antwortete nur mit einem Schmunzeln und einem Schulterzucken. Diese Erzählungen eines der bekanntesten Alpinisten in den Dolomiten, regten mich an und an einem milden Oktobertag sahen wir uns auf den langweiligen Sockel der Terza Pala wanken. Wir nahmen uns vor die Gegend von der Nähe zu studieren und unser Material am Einstieg zu hinterlegen. Bei einer schüchternen Erkundung der ersten Wände, erkannten wir , dass der Bergmassiv über uns eine großer Herausforderung war und uns eine einmalige Besteigung bevorstand. Ich stand vor einem Dilemma: auf einer Seite die Wand welche uns ermöglichte uns kreativ zu bewegen, auf der anderen Seite eine Seillänge, welche von der wenigen Technologie aufrecht gehalten wird.


In den darauffolgenden Jahren haben Stefan Comploi und ich die Valle di San Lucano nicht mehr besucht. Andere Besteigungen hatten Vorrang.


Im letzten Frühjahr habe ich mich mit Heinz Grill über die verschiedenen alpinistischen Projekte in den Dolomiten unterhalten. Nach diesem Gespräch erglühte wieder unsere Begeisterung und wir packten wieder die Zeichnungen des Spiz di Lagunàz aus. Heinz war unser Mann, in ihm sahen wir den perfekten Partner eine solche Besteigung zu überwältigen. Er ist ein instinktiver Kletterer, flink und entschlossen. Seit 30 Jahren hat er komplexere Besteigungen meisterhaft bewältigt, ohne mit der Wimper zu zucken. Außerdem ist es für uns anregend und lehrreich mit ihm, ein philosophischer und kulturbewußter Mensch, die Zeit zu verbringen.


Es ist immer schwer den Beruf als Bergführer mit den Ambitionen eines Bergsteigers zu verbinden. Nach Mitte August habe ich dann beschlossen meine persönliche Priorität zu setzten und endlich mit Entschlossenheit den Schritt zu wagen.


An einem schwülen Augusttag sind wir dann über den Sockel bis zum Einstieg des Spiz di Lagunàz gewandert. Heinz hielt hin und wieder an um bunte Bänder, welche jemand angebracht hatte, von den Sträuchern zu entfernen. Die Bänder dienten wahrscheinlich den Weg anzuzeigen in diesem Labyrinth von Laubsträucher und Felsen. Dies amüsierte mich, denn laut einem Alpinforum genau er es gewesen ist, der diese Bänder angebracht hatte. Einige vermuteten eine Super Route andere forderten die Entfernung der Bänder, was Herr Grill jetzt ohne zu klagen tat.


Bei einem ersten Versuch haben wir die erste schwarze Felswand bestiegen und am 28. August 2011 haben wir dann den Gipfel erreicht. Es war eine schöne und elegante Besteigung. Der Fels ist von den Witterungseinflüssen sehr griffig geworden. Wir kletterten frei – mit wenigem Einsatz von Instrumenten. Am Berggipfel, über der großen Felswand, war das Dolomitgestein gespaltet und einige Passagen forderten mehr Vorsicht.
Während des ganzen Tages haben uns Robert und Petra – zwei Freunde von Heinz – mit dem Fernrohr vom Berggipfel der Quarta Pala verfolgt, nachdem sie uns geholfen hatten die Ausrüstung zu transportieren. Ihre Anwesenheit vermittelte uns eine Komplizenschaft in dieser positiven Stille in diesem verlassenen, einsamen und steinzeitlichen Ort, wo auch kein Handy den Kontakt zur Außenwelt aufrecht halten kann.


Am Gipfel des Spiz di Lagunàz angekommen war ich glücklich wie ein Kind. Ich freute mich so sehr, ich war stolz auf uns, denn wir haben eine Spur hinterlassen, wie es auch Casarotto, Miotto und Bee getan hatten. Eine Umarmung versiegelte unser Abenteuer, unsere Besteigung. Mit Stefan Comploj habe ich schon seit über 25 Jahren verschiedene Berggipfel erreicht und zahlreiche Dolomitenwände bestiegen. Auch mit Heinz Grill habe ich die Syntonie gespürt und habe entdeckt, dass uns die gleichen Gründe bewegten. Der Bund der unter uns entstand hat sich wirkungsvoll gezeigt, wie auch die Harmonie zwischen uns, uns zusammengeschweißt hat.


Ich schlug meinen Freunden vor die Route „Lorenzo Massarotto“ zu nennen. Er ist für viele Erstbesteigungen bekannt, welche nicht in Vergessenheit geraten sondern immer wichtiger und bekannter werden. Der Stil unserer Route – welche wir mit einer Handvoll Nägeln bewältigt haben- ist der Routen von Lorenzo sehr ähnlich. Ein Stil ohne Anspruch einer Innovation, jedoch mit dem Wunsch die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verbinden.


Zu weiteren Fotos

 

 

Like us on Google+

Suche


Partner



Events